Vor ein paar Tagen wurde ich auf folgenden Tweet von Stadtrat und Grünen-Fraktionsvorsitzendem Florian Roth aufmerksam.
Auf der Lindwurmstraße sollen ein Radstreifen sowie der Wegfall eines „Autostreifens“(sic!) geprüft werden.
Als Info für meine „auswärtigen“ Leser: Die Lindwurmstraße ist eine meist 4-spurige, von großen Pappeln gesäumte Einfallstraße im Süden der Innenstadt. Geh- und Hochbordradwege befinden sich zwischen Hausfassaden und Pappelreihen.
Das klingt insofern interessant, weil die Situation für Radfahrer auf der Lindwurmstraße seit Jahren heiß diskutiert wird, wie so oft geht es um den Erhalt von Fahrstreifen und Parkplätzen. Beim genaueren Lesen des Tweets fällt mir auf, dass der Prüfauftrag lediglich für den nördlichen Bereich zwischen Sendlinger Tor und Goetheplatz erteilt wurde. Ungefähr eine Distanz von 700 Metern (die gesamte Lindwurmstraße ist ca. 2,3 km lang). Ich lese noch genauer, und stolpere über die Unterscheidung von stadtauswärts (nach Süden) und -einwärts (nach Norden). Nach Süden soll also der Wegfall eines Fahrstreifens zugunsten eines Radstreifens geprüft werden, soweit klar, hier gibt es schließlich auf den ersten 300 Metern südlich des Sendlinger-Tor-Platzes schon einen Radfahrstreifen (jedoch 2 Richtungsfahrstreifen, aber keine Parkplätze); nach Norden aber soll ein Sicherheitsstreifen von 75 cm eingehalten werden. Für was? Die Einrichtung eines Radstreifens soll dort doch gar nicht geprüft werden? Ich bin verwirrt. Aktuell gibt es dort nur einen schmalen Hochbordradweg.
Aufklärung erfolgt in Form eines weiteren Tweets. Diesmal von der Rathaus-SPD (die Grünen sind derzeit in der Opposition).
Endlich hat die SPD mal wieder etwas zu feiern! Jetzt wird also wirklich der viel zu schmale und konfliktträchtige Hochbordradweg auf der Lindwurmstraße angegangen. Hossa! Dann klicken wir doch einmal den Link im Tweet an.
Da wird es nun interessant. Auch hier sind lediglich die nördlichsten 700 Meter der Lindwurmstraße Teil der geplanten Maßnahme. Beschlossen wurde ein 1,85 Meter breiter Radfahrstreifen in Fahrtrichtung Nord zwischen Goetheplatz und Sendlinger-Tor-Platz. Hierzu sollen die bestehenden Fahrstreifen verschmälert werden und – wo vorhanden – auch der bauliche Mittelteiler entfernt werden (diese Info habe ich den zugehörigen Dokumenten im RIS entnehmen können). Auf diesen Abschnitt beziehen sich also die 75 cm Sicherheitsstreifen und der Wunsch nach wenigstens 2 Meter Breite im Prüfauftrag (der lustigerweise auch von der SPD mitgetragen wird). Stadtauswärts wird es spannend. Hier soll der bestehende Hochbordradweg „erneuert“ und „verbreitert“ werden. Ich werde hellhörig. Ich frage bei der SPD nach, wie denn die Verbreiterung erfolgen soll, obwohl ich die Antwort natürlich schon kenne. Zuallererst ein Foto der Ist-Situation zwischen Sendlinger-Tor-Platz und Ziemssenstraße.
Unwahrscheinlich, dass auf diesem Abschnitt in diese Fahrtrichtung etwas verändert wird.
Nun folgt ein Blick auf die Situation zwischen Ziemssenstraße und Goetheplatz.
Ich denke, man benötigt nicht allzu viel Fantasie, um zu erkennen, dass eine Verbreiterung des Radwegs nur unter Verschmälerung des Gehwegs möglich ist. Nachdem dieser Fakt in der Pressemitteilung keine Erwähnung findet, konnte ich dies immerhin der SPD in einem Tweet entlocken.
Zum Glück gibts dort die Pappeln, sonst hätte man ja schreiben müssen, dass die Parkplätze den Raum begrenzen…
Gleich mitgeliefert wird auch eine Bewertung des Radwegs südlich des Goetheplatzes (der nicht Teil des Beschlusses ist). Ein „guter Radweg“. Dort gibt es nichts zu verbessern.
Ich vermute, die SPD bezeichnet dies als „guten Radweg“, weil er exakt dem neu geplanten Maß von 1,60 Meter entspricht (der Gehweg ist hier übrigens 2,40 Meter breit).
Mir stellen sich gleich mehrere Fragen:
- Welchen Nutzen soll die Verbreiterung haben?
- Was sagen die Fußgänger dazu?
- Weshalb darf man untermaßige Radwege „neu“ bauen?
- Es gibt doch sicher auch Richtlinien für Gehwege, oder?
Nutzen: Gering. Überholen ist weiterhin nicht sicher möglich.
Fußgänger: Die wissen vermutlich noch nichts von ihrem Glück, in der PM kommt das Wort Fußgänger auch nicht vor.
Maß: 1,60 Meter sind gemäß ERA2010 zwar das zulässige Mindestmaß, jedoch nur bei geringen Verkehrsstärken. Mangels fester Zählstelle (ein Schelm..) kann ich keine belastbaren Aussagen zur Verkehrsdichte machen, aber ich tippe auf einige tausend am Tag. Einen Eindruck bekommt man in diesem bereits 6 Jahre alten Video (nicht von mir).
Die Anwendung des Mindestmaßes sehe ich hier als nicht zulässig an. Und als „Radlhauptstadt“ sollte man das auch ohne ERA erkennen. Zumal der Radstreifen im nördlichen Bereich auch nicht nur mindestmaßig angelegt wurde – vor bereits mehr als 20 Jahren.
Gehwege: Das absolute Mindestmaß für Gehwege beträgt 2,50 Meter (RASt, 6.1.6.1, vgl. 4.7). Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, und den Bereich zwischen Ziemssenstraße und Goetheplatz sowie den Bereich südlich des Goetheplatzes (der mit dem „guten Radweg“) gemessen. Der Radweg nördlich des Goetheplatz ist einschließlich der Leistensteine rechts und links 120 cm „breit“ – damit ist eine Benutzungspflicht schon ausgeschlossen (siehe VwV-StVO) , gemäß Beschilderung soll er natürlich trotzdem benutzungspflichtig sein (nebenbei: Wenn ich mich nicht täusche, wurde das entsprechende Schild sogar kürzlich erst neu montiert, nachdem das Alte abhanden gekommen war, das werde ich aber nochmals prüfen). Der direkt angrenzende Gehweg ist 230 cm breit. Er unterbietet also bereits im Ist-Zustand die Vorgaben der RASt. Nach Verbreiterung des Radwegs auf luxuriöse 160 cm bleiben noch 190 cm Gehwegbreite übrig. Im dicht bebauten Innenstadtbereich, wohl gemerkt! Jetzt kommt noch hinzu, dass sich genau im betreffenden Abschnitt zwei Eingänge der Unikliniken befinden, der zur Kinderklinik (!) und ein Eingang zur Klinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie. Man trifft hier also relativ oft auf Fußgänger mit Kinderwagen oder auf Personen in Rollstühlen oder mit Krücken. Für diesen Fall sind die Mindestmaße der RASt nicht ausreichend, hier sollten mindestens 270 cm angesetzt werden (siehe „Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen“ H BVA, siehe auch DIN 18040-3 auf https://nullbarriere.de/din18040-3-flaechen.htm). Natürlich lassen sich diese Maße im dicht bebauten Bestand nicht immer einhalten, aber mit Umsetzung des Beschlusses wird m.M.n. der Bestandsschutz des Ist-Seitenraums aufgehoben. Unter Berücksichtigung weiterer Randbedingungen darf ein Gehweg auch schmaler sein, jedoch mindestens 2,10 Meter. Zu diesen Randbedingungen gehört z.B. der Verzicht auf Flächen für den Radverkehr (Hintergrund ist, dass zwischen Flächen mit unterschiedlicher Nutzung ein (fiktiver) Sicherheitsraum angesetzt wird, auf den z.B. bei Wegfall des Radwegs verzichtet werden kann). Eine vernünftige Lösung dieses Straßenabschnitts sähe so aus, dass der Hochbordradweg aufgelöst wird und z.B. als Radfahrstreifen auf der Fahrbahn bzw. dem existierenden Seitenstreifen neu angelegt wird. Das ist gar nicht einmal so weit weg, von dem was die Grünen unter Zustimmung von SPD(!) und FDP als Prüfauftrag durch den Stadtrat gebracht haben. Dieser erhält jedoch den Parkstreifen und ersetzt einen der vier Fahrstreifen durch einen Radfahrstreifen.
Das würde quasi nichts kosten (außer Parkplätze; hierzu wird es bei Gelegenheit auch einen eigenen Beitrag geben), wäre morgen schon zu benutzen und entspräche der Regelbreite gemäß ERA. Plus: Fußgänger geraten nicht laufend in Konflikt mit den Radfahrern auf dem Radweg. Wie die Situation dort üblicherweise aussieht, illustrieren die folgenden Bilder (aufgenommen an einem Mittwochmittag im November).
Was diese Bilder ebenfalls zeigen: Es gibt einen eklatanten Mangel an sicheren Fahrradabstellplätzen.
Würde man den Parkstreifen aufgeben und die Radfahrer stattdessen dort entlang führen, könnte man entweder den Gehweg um die Breite (oder Teile davon) des ehemaligen Radwegs verbreitern, so dass der Gehweg die heute üblichen Mindestmaße einhält oder, im Rahmen der Eingrenzung der Flächenversiegelung, belässt man den Gehweg in der Ist-Breite und reißt den Radweg ersatzlos ab, so dass die Grünfläche rechts der Bäume großzügiger wird (so ist man kürzlich mit dem Radweg auf dem Bavariaring umgegangen).
Wie die Verbreiterung im Detail funktionieren soll, ist mir noch unklar. Rechts des Radwegs befinden sich Laternenmasten und Parkscheinautomaten. Ob man die im Rahmen des Umbaus versetzen wird? Insbesondere bei den Laternen wage ich das zu bezweifeln (es handelt sich nicht um Peitschenlaternen, sondern um die massiven Masten einer seilgebundenen Straßenbeleuchtung).
Was mir nun, als Nicht-Fachmann der öffentlichen Verwaltung, unklar ist: Weshalb beschließt man auf Antrag der SPD eine Maßnahme und beschließt dann quasi gleichzeitig (ebenfalls mit den Stimmen der SPD) eine Überprüfung, ob man den von der vorher beschlossenen Maßnahme betroffenen Bereich nicht doch etwas anders umbauen könnte?
Was mich aber am meisten stört, ist die Tatsache, dass hier nun für insgesamt 4 Millionen Euro umgebaut wird und im Ergebnis keine nachhaltige Lösung entstanden sein wird. Im Gegenteil, diese hohe Investition wird dazu führen, dass in diesem Bereich die Situation wieder auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zementiert sein wird. Die Lindwurmstraße braucht eigentlich einen großen Wurf, mit mutigen, progressiven Maßnahmen (so wie eigentlich jede der großen Axialen Münchens), stattdessen gibt es mutloses Kleinklein (für das man jedoch gefeiert werden will, YES!
Fazit / tl:dr: 400 Meter mindestmaßiger Radweg und untermaßiger Gehweg sowie 700 Meter weiße Farbe sind im Jahre 2018 in München eine Pressemitteilung wert.
Detail am Rande: Der Wechsel von Radfahrstreifen zu Hochbordradweg ist nicht nur unstet, sondern für Kinder unter 8 Jahre irritierend. Diese müssen seit der letzten Überarbeitung der StVO nämlich nicht nur Gehwege mit dem Rad befahren, sondern dürfen auch baulich angelegte Radwege nutzen (StVO, § 2 Absatz 5), nicht aber Radfahrstreifen.
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